Zielkonflikt zwischen Ökonomie und sozialer Nachhaltigkeit wird überschätzt

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Die soziale Nachhaltigkeit steht bei der Immobilienwirtschaft bislang klar im Schatten der ökologischen Nachhaltigkeit, wird nun aber in den Fokus rücken. Neben dem Benchmarking auf Portfolioebene gilt es bei Projektentwicklungen, frühzeitig die Wirkungsmöglichkeit auf das „S“ in die Planung zu integrieren.

Artikel von Raphael Schönbächler, Senior Consultant im Bereich Consulting & Development

Die Gründe für die Dominanz der Ökologie im Vergleich zum Sozialen bei der Nachhaltigkeitsthematik sind vielfältig. Beispielsweise können Eigentümer von Immobilien bei der Ökologie mit klar definierbaren und messbaren Massnahmen einen unmittelbaren Impact generieren. Energetische Ertüchtigungen drängen sich zudem mittlerweile auch ökonomisch auf. Mit der verbreiteten Anwendung von Nachhaltigkeits-Benchmarks, -Zertifizierungen oder -Standards wie SNBS wird aber auch das „S“ für die Immobilienwirtschaft haptischer. Noch entscheidender ist, dass die soziale Komponente mit der Diskussion um sozial verträgliche Mieten an Bedeutung gewinnen dürfte. Der aktuell angespannte Mietwohnungsmarkt macht Personen, die umziehen wollen oder müssen, zu «Verlierern». Damit rücken nicht nur die Erschwinglichkeit von Wohnraum generell, sondern auch Themen wie sozial verträgliche Erneuerungen in den Fokus. So werden Planungen der Eigentümer, unter welchen Bedingungen eine Sanierung im bewohnten Zustand möglich ist, genauer unter die Lupe genommen. Der Druck auf die Investoren und Eigentümer steigt. Auch für Avobis ist vor diesem Hintergrund die soziale Nachhaltigkeit bei der Beratung und der Bauherrenvertretung unserer Kunden wichtiger geworden.

Nicht nur „Benchmarken“ von Bestandesliegenschaften ist angesagt, sondern ganzheitliche Projektentwicklungen von Neubauten und grosszyklischen Erneuerungen

Die gängigen Nachhaltigkeitslabels, -leitfäden und -Benchmarksysteme dienen unserer Erfahrung nach insbesondere bei der Portfoliobetrachtung bzw. beim Asset Management. Sie helfen, eine Haltung zum Thema Nachhaltigkeit zu erlangen. Sie können aber bei einer konkreten Entwicklung eine frühzeitige und massgeschneiderte strategische Planung einer sozial nachhaltigen Positionierung nicht ersetzen. Sind die Flächen einmal erstellt, lassen sich einige soziale Aspekte längerfristig nur noch bedingt beeinflussen, auch wenn mittels Bewirtschaftungsmassnahmen wie etwa Onboarding-Anlässe Einfluss genommen werden kann. Ebenfalls neigen Benchmarks durch die naheliegende datengestützte Bewertung dazu, bei der sozialen Nachhaltigkeit der Zentralität etwas zu viel Bedeutung zuzuweisen. Die heute im Immobilienmarkt vorhandenen Mikrolagedaten können die Erreichbarkeit und die Dichte von Dienstleistern und Infrastruktur sehr gut abbilden, aber die wichtigen Komponenten des «S», wie etwa das Angebot an Quartierräumen, Vereinslokalen oder Gemeinschaftsflächen, die auch von den Anwohnern benutzt werden und zu inklusiven Nachbarschaften beitragen, können datentechnisch nicht beurteilt werden. Dieser Umstand führt für Bauherren und Bauherrenberater wie Avobis, wo man sich ebenfalls auf Mikrolagedaten stützt, zu Extraaufwand. Beim (datengestützten) Peervergleich auf Portfolioebene sehen wir die Bestandesaufnahme der Bezahlbarkeit der Mietpreisstrategie, der Flächenallokation sowie des Mietermix bezüglich Haushaltszusammensetzung als am nützlichsten an. Um das Wohlbefinden der Bewohner beurteilen zu können, helfen Mieterbefragungen. Bei der Frage der sozialen Durchmischung müssen bzw. können Quartierspiegel, wie es sie für Basel oder Zürich gibt, oder Auftragsanalysen herangezogen werden, da deren Einordnung schlussendlich auf Stufe Quartier oder Gemeinde erfolgen sollte.

Zentral ist eine massgeschneiderte und frühzeitige Anreicherung der rein marktgerechten Positionierung um soziale Komponenten, mit denen das eigene Projekt eine Wirkung erzielen kann

Sowohl aus Sicht des Sozialen als auch des Ökonomischen ist es das Ziel, dass Flächenangebote eine möglichst hohe Nachfrage aufweisen, damit die Immobilien einen hohen Nutzen generieren. Die wichtigste Rolle der sozialen Nachhaltigkeit dürfte dort zu finden sein, wo der Markt zu unerwünschten Effekten führt. Beim heutigen Nachfrageüberhang nehmen solche Effekte wie Verdrängung und suboptimale Wohnraumallokation zu. Der Markt löst bekanntlich nicht alle Probleme und kann selbst Neue verursachen. So hat die erfolgreiche Stadtplanung in Schweizer Städten in den letzten zwei Jahrzehnten zu einer generellen Aufwertung beigetragen, was wiederum Druck auf den Status quo der sozialen Durchmischung ausübt. Das Phänomen der Gentrifikation tritt auf. Solange Immobilienentscheide Marktmechanismen unterworfen sind – und das dürfte alternativlos sein – führt das in der Regel zu Folgendem: Wenn ganze Quartiere attraktiver werden, lohnen sich auch Neupositionierungen von älteren Bestandesliegenschaften früher, indem höhere Erträge erzielt werden können. Und da genau ältere Bestandesliegenschaften an durchschnittlichen oder schlechten Lagen für die Versorgung von bezahlbarem Wohnraum – notabene nicht Neubauten – verantwortlich sind, kann das Wohnungsangebot lokal einseitiger werden. Will man dem entgegenwirken, dann hilft eine aktive(re) Bodenpolitik der öffentlichen Hand über unter anderem direkt gehaltene Liegenschaften, Stiftungen mit gemeinnützigen Bauträgern oder Aufzonungsboni mit Verknüpfung von Wohnanteilen für gemeinnützige Wohnungen weitaus besser als starre Gesetze und Regulierungen.  

Die Wirkungsmöglichkeit und Beitragsrolle ist abhängig von der Projektgrösse, der eigenen Lagequalitäten und des Umfelds

Die soziale Nachhaltigkeit wird von vielen Immobilienakteuren noch immer ein wenig distanziert behandelt. Dies ist durchaus verständlich. Viele Bauherren gehen davon aus, dass sie mit ihrem eigenen Projekt keinen oder kaum Impact erzielen können und nur eine übergeordnete Planung hier Wirkung entfalten kann. Zudem ist man schnell dazu verleitet, es dem Nachbarn zu überlassen (Trittbrettfahrer-Problem). Die gute Nachricht aus Sicht von Avobis aber ist, dass der Tradeoff zwischen dem Sozialen und dem Ökonomischen kleiner ist, als viele vermuten dürften. Wir sehen die Schnittfläche, in der sowohl zur ökonomischen als auch zur sozialen Nachhaltigkeit beigetragen wird, als deutlich grösser als Strategien, die nur einen Aspekt berücksichtigen (siehe Abb.).

Vielmehr ist es eine Frage der eigenen Projektgrösse und der Lagequalitäten, welchen Beitrag zur sozialen Nachhaltigkeit mit der eigenen Liegenschaft oder dem Areal sinnvoll ist. So ist es gar nicht die Rolle von Neubauten an überdurchschnittlich guten Lagen, für ein Angebot an preisgünstigen Wohnungen oder für eine soziale Durchmischung zu sorgen. Aus unseren Erfahrungen der Projektentwicklungen zeigt sich, dass an vielen Lagen für ergänzenden Nutzungen, die grundsätzlich zu kurzen Wegen oder zu partizipativen Nachbarschaften führen können, keine Nachfrage vorhanden ist. An diesen Lagen ist eine (aufgezwungene) Nutzungsdurchmischung weder ökonomisch noch sozial nachhaltig. Das Quartier du Flon in Lausanne lässt sich eben nicht an vielen Schweizer Lagen realisieren. Was nicht heissen soll, dass die «Disziplin Quartierentwicklung» nicht wichtiger geworden ist. Zur sozialen Nachhaltigkeit tragen aber sozialverträgliche Erneuerungen im bewohnten Zustand – insbesondere bei Siedlungen mit einem höheren Anteil von unterschichtigen Anwohnern – oder mit zur Verfügung gestelltem Ersatzwohnraum bei. Damit können unerwünschte und vermeidbare Verdrängungen vermieden werden. Bei den grösseren zyklischen Erneuerungen helfen vorausschauende Unterhaltsplanungen. Als Grundlage braucht es Strategien mit etappierbaren und modular umsetzbaren Eingriffen. Dabei sind die zusätzlichen Kosten für Provisorien und Einzelmassnahmen und der Einbussen des Mieterkomforts den ununterbrochenen Mieteinnahmen gegenüberzustellen. Ob Mieter die Unannehmlichkeiten einer grösseren Sanierung in bewohntem Zustand in Kauf nehmen wollen, hängt wiederum stark davon ab, ob es genügend verfügbare und vergleichbare Wohnungen für einen möglichen Umzug gibt. Und genau diese Umzugsmöglichkeiten sind aktuell vielerorts stark eingeschränkt. Spannend wird die Diskussion, ob und wie man Sanierungen auf Mischungsziele bezüglich Bewohnerschaft abstimmen kann und soll. Die Immobilienakteure können darüber hinaus zur sozialen Nachhaltigkeit beitragen, indem etwa über partizipative Planungsverfahren die verschiedenen Bedürfnisse frühzeitig abgeholt werden. Wohnungsgrundrisse, die für mehrere Lebensphasen attraktiv sind, sind an vielen Lagen nicht nur ökonomisch, sondern auch sozial nachhaltiger. Gemeinschaftsflächen, Co-Working-Räume für Bewohner und Externe oder Nahversorgungsflächen gilt es dort zu erstellen, wo es die Nachfrage- und Angebotssituation zulässt. Solche Flächen über höhere Mieten der restlichen Wohnungen oder Büros zu quersubventionieren, ist allerdings nicht sinnvoll. Publikumsintensive Flächen temporär resp. initial unter dem Marktniveau anzubieten, um ein neues Quartier zu beleben, kann es hingegen schon sein, wie es das Beispiel der Europaallee zeigt.

Integrierte Planung für soziale Nachhaltigkeit: Strategien zur Positionierung und Risikominimierung in der Immobilienentwicklung

Avobis versteht seinen Beitrag zur Verbesserung der sozialen Nachhaltigkeit darin, zusammen mit den Eigentümern und Investoren herauszufinden, ob und wie das «S» in die Planung integriert werden soll. Das gelingt, indem sämtliche Komponenten bei der Planung von Immobilienentwicklungen frühzeitig berücksichtigt werden. Damit bekommen Investoren Empfehlungen, in welcher Phase des Immobilienzyklus mit welchen Massnahmen eine Wirkung erzielt werden kann. So werden Positionierungen nicht mehr rein aus Marktsicht abgeleitet. Je nach Projektgrösse und Lageeignung gilt es, andere Ansätze und Aspekte zu ergänzen. Der erste Schritt zur sozialen Nachhaltigkeit ist aber stets eine fundierte Standort- und Marktanalyse. Eine daraus sauber abgeleitete Positionierung reduziert das Risiko von Fehlentwicklungen, da sie die soziodemographische Struktur des Quartiers bereits berücksichtigt. Dazu zählt auch, was Immobilienökonomen jeweils mit marktgerechten Preisen oder Markmieten umschreiben: Die Mieten und Verkaufspreise können dann als nachhaltig betrachtet werden, wenn sie von den Flächennutzern nachhaltig «erwirtschaftet» werden können. Darin enthalten ist das Leistungsfähigkeitsprinzip. Dies darf nicht mit den seltenen, aber vorhandenen Fällen verwechselt werden, wo die Preise bewusst oder unwissend zu hoch angesetzt werden mit Inkaufnahme von höheren Fluktuationen oder Leerständen.

Beziehung zwischen Wirtschaftlichkeit und Sozialem bei der Projektentwicklung

Anmerkung: Ob eine Massnahme/Strategie sowohl sozial als auch ökonomisch nachhaltig oder eben nicht ist, hängt davon ab, ob sich die konkrete Liegenschaft/Areal dafür eignet. Dies hängt von der Projektgrösse, der Lagequalität und des Umfelds ab.
Quelle: Avobis
Raphael Schoenberger Rund

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Raphael Schönbächler

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