Im September 2024 wurde die Revision des Umweltschutzgesetzes durch National- und Ständerat angenommen. Wie geht es nun weiter? Wo liegen die kritischen Punkte? Nachfolgend geben wir eine Übersicht, teilen unsere Einschätzung und beleuchten dabei den Art. 22 «Baubewilligungen in lärmbelasteten Gebieten».
Bisher galt: die Lärmgrenzwerte müssen, von der «Lüftungsfensterpraxis» mal abgesehen, bei allen lärmempfindlichen Räumen bei allen offenen Fenstern eingehalten werden. Künftig soll gelten:
- In neuen Wohnungen müssen mindestens die Hälfte der lärmempfindlichen Räume über ein Fenster verfügen, bei dem die Grenzwerte eingehalten werden.
- Wird eine kontrollierte Wohnungslüftung (KWL) installiert, genügt es, wenn nur in einem lärmempfindlichen Raum pro Wohnung die Grenzwerte eingehalten werden. Dasselbe gilt, wenn statt der KWL ein privat nutzbarer Aussenraum zur Verfügung steht, bei dem die Grenzwerte ebenfalls eingehalten werden.
- Ist neben der KWL auch ein Kühlsystem vorhanden, müssen die Grenzwerte am offenen Fenster gar nicht mehr eingehalten werden.
Bauen in lärmbelasteten Gebieten wird also einfacher, denn die vorliegende Gesetzesanpassung geht auch deutlich weiter als die bisherige Lüftungsfensterpraxis und ist damit auch weitaus liberaler, als es die ursprüngliche Motion vorsah. Ganz unproblematisch ist das nicht. In sehr gut wärmegedämmten Gebäuden (was bei Neubauten ja der Fall ist) wird es im Hochsommer oft schwierig, die Räume in den kurzen Sommernächten nur mittels kontrollierter Lüftung genügend abzukühlen. Ein Kühlsystem wie GeoCooling kann dabei helfen, ist aber nicht in jedem Fall realisierbar. Es werden darüber hinaus keine Angaben zum Kühlsystem gemacht. Kommen Klimageräte zum Einsatz, wäre dies aus ökologischer und energetischer Sicht kontraproduktiv.
Auch ohne mechanische Lüftung, nämlich mit einem ruhigen und privat nutzbaren Aussenraum, sind deutliche Erleichterungen möglich. In der «Hochparterre»-Ausgabe vom 06.11.2024 ist bezüglich Aussenraum von einer «schwammigen Formulierung» die Rede. Wir gehen von direkt zugänglichen Aussenbereichen mit Mindestanforderungen an die Flächen gemäss dem Wohnungs-Bewertungs-System des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) aus (im Sinne von anerkannten Regeln der Baukunde). Private Aussenräume liegen i.d.R. im Bereich des Wohnzimmers. Wenn im Aussenraum die Grenzwerte eingehalten werden, so werden die Grenzwerte gleichzeitig auch im Wohnzimmer (lärmempfindlicher Raum) eingehalten. Somit wären die Anforderungen an den Lärmschutz bereits erfüllt. Dies bedeutet, dass in den Schlafzimmern z.B. keine Nachtauskühlung unter Einhaltung der Grenzwerte garantiert werden muss.
Aber welche Folgen hätte diese Bauerleichterung auf die unmittelbare Wohnbautätigkeit?
- Sofern das Referendum nicht ergriffen wird (Frist läuft noch bis am 16.01.2025), muss anschliessend die Lärmschutzverordnung angepasst werden. Gemäss Angaben vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) sollen Gesetz und Verordnung gemeinsam eingeführt werden. Demnach könne es ab heute noch zwei bis drei Jahre dauern.
- Die Swisscanto-Anlagestiftung wollte auf dem Bürgli-Areal in Zürich-Enge ein Bauprojekt mit 124 Wohnungen realisieren. Rund 80% der Wohnungen haben die Grenzwerte jedoch deutlich überschritten, weshalb es vom Bundesgericht gestoppt wurde. Die Baugenossenschaft Oberstrass plante einen Ersatzneubau an der Winterthurerstrasse mit 134 Wohnungen. Aufgrund der zu grossen Lärmgrenzwertüberschreitungen wurde das Projekt durch das Verwaltungsgericht gestoppt. Trotz den angestrebten gesetzlichen Erleichterungen wird es bei diesen wie auch bei anderen «blockierten» Projekten so schnell wohl nicht weitergehen. Es wird eine «verfahrenstechnische Latenzzeit» geben, weil diejenigen Projekte, die an der früheren Regelung vor dem Verwaltungs- oder Bundesgericht gescheitert sind, nicht einfach bewilligt werden, sondern von Grund auf neu eingereicht werden müssen. Aufgrund der verstrichenen Zeit dürften einige Projekte auch angepasst resp. sogar konzeptionell neu aufgegleist werden.
- Ein solches Grossprojekt, das aufgrund des Lärmschutzes bereits überarbeitet werden musste, ist der Brunaupark. Die Pensionskasse der Credit Suisse plant seit Jahren einen Um- und Neubau mit ca. 500 Wohnungen. Allerdings stockt das Projekt weiterhin, aber nun wegen einer Einsprache des Heimatschutzes und dem Widerstand der Bewohnenden.
Im Jahr 2016 wurde die Motion zur gesetzlichen Verankerung der «Lüftungsfensterpraxis» durch Nationalrat Beat Flach eingereicht. Gemäss dieser Praxis sollten die Grenzwerte in jedem lärmempfindlichen Raum an nur einem (anstatt allen) offenen Fenster eingehalten werden. Am 16.12.2022 wurde dann der Änderungsantrag zum Umweltschutzgesetz eingereicht. Damit sollten die raumplanerischen Zielsetzungen mit dem Schutz der Bevölkerung vor Lärm besser abgestimmt werden. Seit dem 27.09.2024 liegt nun die Gesetzesanpassung vor. Trotzdem dauert es noch eine Weile, bis Gesetz und Verordnung eingeführt werden können. Danach müssen die Bauprojekte überarbeitet und die Baugesuche neu eingereicht werden. Die ersten fertiggestellten Bauprojekte, basierend auf dem neuen Lärmschutzgesetz, sind somit nicht vor 2030 zu erwarten.
Kontaktperson
Brandschenkestrasse 38
8001 Zürich